Am 30. September und 1. Oktober 2016 fand nunmehr zum 46. Mal der DGZI-Jahreskongress statt. Unter dem Motto „Wie viel Ästhetik braucht die Implantologie?“ lockte der Kongress mehr als 500 Teilnehmer in die bayerische Landeshauptstadt München; darunter auch zahlreiche ausländische Delegationen aus Japan, Osteuropa, USA sowie dem arabischsprachigen Raum. An beiden Tagen erwartete die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein umfangreiches Vortragsprogramm. Highlight der Veranstaltung war auch in diesem Jahr die spannende Diskussionsrunde „DGZI kontrovers“, in der es um „Sinn und Unsinn der Alveolar Ridge Preservation“ ging.
Ihren 46. Jahreskongress widmete die Deutsche Gesellschaft für Zahnärztliche Implantologie einem provokant formulierten Thema: „Wieviel Ästhetik braucht die Implantologie?“ Unter wissenschaftlicher Leitung von Prof. Dr. Herbert Deppe und Prof. Dr. Roland Hille gelang es, dieses praxisrelevante, brisante Thema in seinem Facettenreichtum darzustellen und auch eindeutige Aussagen für die Umsetzung in der Praxis zu geben. Die Bayernmetropole München – und das zur Wiesnzeit! – bot dabei den gut 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern am 30. September und 1. Oktober eine ideale Location für einen gelungenen Kongress.
Bewusst hatten die wissenschaftlichen Leiter der Veranstaltung ein Thema gewählt, welches in den vergangenen zwei Jahrzehnten oraler Implantologie gänzlich unterschiedlich bewertet worden ist – von der rein chirurgisch orientierten Implantologie der Anfangsjahre mit ihrer nahezu Negierung ästhetischer Bedürfnisse, über die Überhöhung der zu erzielenden ästhetischen Ergebnisse mittels oraler Implantate bis hin zu einem pragmatischen Abwägen beider. In ihrem Grußwort wiesen Prof. Dr. Herbert Deppe und Prof. Dr. Roland Hille darauf hin, dass einerseits seit der wissenschaftlichen Anerkennung der zahnärztlichen Implantologie bereits drei Jahrzehnte vergangen sind, andererseits jedoch – auch unter Berücksichtigung der erheblichen Fortschritte auf diesem zahnärztlichen Fachgebiet – noch längst nicht alle Probleme gelöst sind. Diesen will sich die älteste europäische implantologische Fachgesellschaft stellen.
Gelungener Kongressauftakt
Nicht nur die erfreuliche Präsenz zahlreicher befreundeter implantologischer Fachgesellschaften aus dem Ausland – vor allem die japanischen, osteuropäischen und nordamerikanischen Delegationen, sowie die aus dem arabischsprachigen Raum –, sondern auch die Eröffnungssession des 46. Internationalen Jahreskongresses selbst setzten Zeichen zum Kongressauftakt. Mit Prof. Dr. Dr. Ralf Smeets (Hamburg) und den aus den USA kommenden Referenten Prof. Dr. Suheil M. Boutros, Dr. Nick Caplanis und Dr. Glenn Blickert ergriffen vier Referenten das Wort, die – jeder auf seinem Gebiet – auf großes Wissen und Erfahrung zurückgreifen können. Den Auftakt machte der Hamburger Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurg Prof. Dr. Smeets, der das Auditorium mit seiner schnellen und gleichzeitig brillanten Vortragsweise auf das kommende Programm einstimmte.
Seit vielen Jahren ist die DGZI eng verbunden mit dem in den USA lebenden Referenten Prof. Dr. Suheil Boturos. Dieser hatte sich für seinen Vortrag den „Olymp“ der ästhetisch orientierten Implantologie als Thema gewählt: der Ersatz des mittleren oberen Frontzahnes. Das ebenfalls aus den USA kommende Referentenduo Dr. Caplanis und Dr. Bickert beschäftigte sich demgegenüber mit dem ästhetischen Management der Kiefergesamtversorgung. Trotz der unterschiedlichen Themen waren sich alle drei Referenten am Ende einig: Neben einer guten implantologischen Ausbildung ist es vor allem die Planung, die in der ästhetischen Implantologie höchste Priorität hat.
Mainpodium: Implantatprothetik
Nach der Auftaktsession hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Kongresses die Qual der Wahl: Mainpodium, Internationales Podium, Corporate Podium oder Teilnahme am Münchener Podium für Innovative Implantologie? „So eine Auswahl, alles klingt gut, ich weiß gar nicht wohin ich gehen soll…“, formulierte es eine Teilnehmerin. Und so war an diesem Tag viel Bewegung im Westin-Hotel in München. Das „Switchen“ lohnte sich: Allein im Mainpodium, welches sich prothetischen Aspekten widmete, waren mit Prof. Dr. Thomasch Weischer, Dr. Peter Randelzhofer und Prof. Dr. Peter Pospiech gleich drei der namhaftesten deutschen Implantatprothetiker vertreten. Hier kamen auch die zahlreichen anwesenden Zahntechniker voll auf ihre Kosten. Denn eines wurde klar: Die digitale Implantologie hat sich auch in der Prothetischen Zahnheilkunde etabliert, sie birgt unglaubliche Optionen und neue Möglichkeiten, bedingt aber auch eine intensive Einarbeitung und zeichnet sich durch eine enorme Technikaffinität aus.
Internationales Podium: Implantologische Komplikationen
Auch das internationale Podium hatte mit den Referenten Prof. Dr. Jeff Johnston, Prof. Dr. Suheil Boutros und Dr. Edward Sevetz drei international renommierte Referenten zu bieten. War das internationale Podium in den vergangen Jahren traditionell von asiatischen Referenten dominiert gewesen, so gaben dieses Jahr die Nordamerikaner den Ton an: Vor allem implantologische Komplikationen standen im Mittelpunkt der Ausführungen des US-Trios – Prof. Johnston gab einen generellen Überblick zu dieser Thematik, während Prof. Boutros sich den Komplikationen im Sinus widmete. Spannend wurde es bei Dr. Sevetz, der über die Versorgung des zahnlosen Oberkiefers unter Verzicht auf Augmentation sprach. Die zentralen Botschaften im Internationalen Podium: Der Trend geht klar zu minimalinvasivem Vorgehen, es muss nicht immer zwanghaft augmentiert werden, eine gute, prä-operative Planung ist der Schlüssel zum Erfolg und das beste Troubleshooting ist die Komplikation, die gar nicht passiert.
Corporate Podium: Praxisnah
Das Corporate Podium hat eine lange Tradition bei DGZI-Kongressen und ist fester Bestandteil des Freitagsprogramms. Bestückt wird es vornehmlich mit Referenten aus der Praxis, bzw. von Industriepartnern: Naturgemäß stehen hier Themen im Mittelpunkt, die für den implantologisch tätigen Kollegen in eigener Praxis relevant sind. So sprach Prof. Dr. Frank Liebaug über den Einsatz von Hyaluronsäure bei der Periimplantitisbehandlung, Dr. Stefan Neumeyer und Dr. Henrik-Christian Hollay widmeten sich in Ihren Beiträgen dem tissue-management. Die im Corporate Podium aufgerufenen Beiträge stießen auf ungeteiltes Interesse des Auditoriums. Dr. Ulf Meisel konnte zudem über seine guten Erfahrungen mit dem Bone-Level-Tapered-Implantat berichten, welches er als sinnvolle Ergänzung des Produktportfolios bei gewissen Ausgangsbedingung ansieht, Christian Möller, MSc. stellte seine Ergebnisse zum minimalinvasiven Alveolarkammerhalt vor und Dr. Thilo Damaskos berichtete über Digitales Backward-Planning.
Münchener Forum für innovative Implantologie
Viertes Parallelpodium des ersten Kongresstages war das Münchener Forum für innovative Implantologie, welches von DGZI-Präsidenten Prof. Dr. Herbert Deppe ins Leben gerufen wurde. Prof. Deppe fungierte hier nicht nur als Chairman, sondern steuerte auch den ersten Beitrag zum wissenschaftlichen Programm des Forums bei: Er sprach über Dentalimplantate bei Systemerkrankungen. Prof. Dr. Mauro Marincola referierte über die Zuverlässigkeit von kurzen Implantaten und seinen guten Behandlungsergebnisse. Dem Kongressthema vollauf gerecht wurde das Referentenduo Dr. Eduard Krahe und Zahntechniker Bernhard Zierer, die einen Paradigmenwechsel in der Implantologie aufgrund medizinischer Indikationen, aber auch aufgrund ästhetischer Gesichtspunkte sehen. Als letzte Referentin des Münchener Forums für Innovative Implantologie war es Prof. Dr. Gabriele Kaeppler vorbehalten über 3D-Röntgenverfahren in der dentalen Implantologie zu berichten.
Den krönenden Abschluss des erfolgreichen ersten Kongresstages stellte ein unvergesslicher Abend in Wiesn-Atmosphäre dar. Vor allem den japanischen und amerikanischen Delegationen dürfte der bayerische Abend noch lange in bester Erinnerung bleiben.
Unterschiedliche Wege – DGZI kontrovers!
Der zweite Kongresstag des 46. Internationalen Jahreskongresses der DGZI war traditionsgemäß dem kontroversen Austausch und der Diskussion gewidmet. Dies passte gut zu dem etwas polarisierenden Kongressthema. So präsentierten eine ganze Reihe namhafter Referenten ihre Ergebnisse, die in die bereits in den Vorjahren sehr erfolgreiche Podiumsdiskussion „DGZI-Kontrovers“ mündeten. Mit Dietmar Weng und Michael Stimmelmayr ist es der DGZI gelungen, zwei höchst renommierte Fachvertreter zu gewinnen, die seit Jahren hervorragende wissenschaftliche Arbeit leisten. Beide stellten unterschiedliche Konzepte zur Erhaltung des Alveolarfortsatzes vor und diskutierten anschließend unter der umsichtigen und eloquenten Moderation des DGZI-Präsidenten Prof. Dr. Deppe deren Bewährung in der Praxis.
DGZI kontrovers
Privatdozent Stimmelmayr hatte in seinem Übersichtsvortrag Aufwand und Grenzen der Ridge Preservation in der ästhetischen Zone definiert und darauf hingewiesen, dass neben umfassendem chirurgischen Können und einer aufwändigen Planung auch patientenindividuelle Gegebenheiten eine enorme Rolle in der Entscheidungsfindung spielen, ob ein Fall ästhetisch „gelungen, oder aber misslungen“ ist. „Wir haben nur zwei Optionen auf einen Knochenverlust zu reagieren“, so Stimmelmayr, der eine sei auf der Knochenebene, der andere auf der Weichteilebene. Stimmelmayrs Option liegt zweifelsfrei auf der Weichteilebene, sein Hauptaugenmerk liegt hier auf dem von ihm entwickelten, zweischenkligen Punch-Weichteiltransplantat, welches zu einer Verbesserung der kompromittierenden Situation in allen Dimensionen führt. Limitierend für dieses Vorgehen, welches der bayerische Implantologe in zahlreichen ausgezeichnet dokumentierten Fallbeispielen vorstellte, wirken sich das gänzliche Fehlen einer bukkalen Knochenlamelle und schwierige Ausgangssituationen, wie z.B. prominente jugae, auf.
Privatdozent Dietmar Weng beschritt einen etwas anderen Weg, weg von der technikaffinen, komplizierten Augmentation, hin zur Vereinfachung. Das Konzept des renommierten Starnberger Implantologen lautet: „simplify your augmentation!“ (Auffüllen statt Anbauen). Das Postulat seines Vorredners, eine Socketpreservation sei in der ästhetisch relevanten Zone gar nicht möglich, nahm er quasi als Steilvorlage auf und führte aus, dass Implantate einfach anders inseriert werden als noch vor einigen Jahren. „Die vorher beschriebenen Verfahren sind doch eher von Oralchirurgen für Oralchirurgen gemacht!“, so Weng, welcher klare, einfache und übersichtliche Verfahren präferiert. Direkt nach Extraktion sind in der Regel drei bis vier Defektwände vorhanden, die lediglich zur Erzielung eines Bündelknocheneffektes eines lockeren Auffüllens (kein Stopfen!) und der Abdeckung einer Membran bedarf. Eine Abdeckung zur Mundhöhle erfolgt mittels eines Gelatineschwamms. Nach einer Wartezeit von ca. sechs Monaten erfolgt dann die Implantation in einem gut vorbereiteten Gebiet – simplify your implantology!
Mainpodium: Implantatplanung
In dieser Session des zweiten Kongresstages steuerte auch der DGZI-Präsident einen vielbeachteten Beitrag zur Oberflächenmorphologie dentaler Implantate nach Insertion im Kieferknochen bei und Dr. Stefan Röhling wertete Keramikimplantaten nicht als Modeerscheinung, sondern sieht diese als echte Alternative zu Titanimplantaten, vor allem – um dem Kongressthema gerecht zu werden – im ästhetisch relevanten Bereich. Hier schloss der Beitrag von Prof. Dr. Dr. Knut Grötz in idealer Weise an. Er definierte Differentialindikationen des Implantatdesigns nach Gesichtspunkten von Ästhetik und Funktion. Wichtig für die Prognose eines Implantatlangzeiterfolges ist die Beachtung individueller Patientenvorgaben. Der Parodontitispatient oder der Patient mit einer systemischen Kompromittierung (Diabetes etc.) stellen ein wesentlich höheres Risiko für einen Implantatverlust dar. Zusammenfassen ist es laut Grötz erforderlich, die Wahl des Implantatdesigns patientenindividuell durchzuführen – ein klares Bekenntnis zur individualisierten Medizin. Ein Tipp des renommierten Implantologen: Im Zweifelsfalle lieber ein Tissue-Level-Implantat.
Zurecht wies der Bonner Grundlagenwissenschaftler Prof. Dr. Werner Götz darauf hin, dass auch die biologische Basis stimmen müsse, ohne Socket Healing und Preservation ist ein ästhetisch ansprechender Erfolg per se unmöglich, was von dem mexikanischen Referenten Prof. Dr. Mario Rodrigues-Tizcareno in seinem englischsprachigen Beitrag vollumfänglich bestätigt wurde. Götz legte den Focus seiner Ausführungen auf den Bündelknochen, den er als eigentlich zum Parodont gehörig definierte – „geht das Desmodont (z.B. im Rahmen einer Parodontitis) zugrunde, dann wird zwangsläufig auch der (bukkale) Bündelknochen zugrunde gehen“, so der Bonner Grundlagenforscher. DGZI-Vorstandsmitglied Prof. Dr. Dr. Kai-Olaf Henkel packte zum Kongressende nochmals ein richtig heißes Eisen an, als er über „Komplikationen“ in der Implantologie sprach. Henkel stellt gleich zu Beginn seines umfassenden Übersichtsvortrages klar: „Misserfolge gehören in der Implantologie dazu!“, wichtig sei es lediglich – und dies war auch das Fazit seines Vortrages –, dass der Umgang mit den aufgetretenen Komplikationen derart sein müsse, dass der Patient zum Freund des Zahnarztes/ Implantologen würde.
Zwei prall mit Informationen gefüllte Kongresstage forderten die Kongressverantwortlichen und das Auditorium gleichermaßen – ebenso waren viele zufriedene fröhliche Gesichter beim Verlassen des Kongress-Saales zu sehen: Nicht nur München ist stets eine Reise wert, der 46. Internationale Jahreskongress der DGZI war es auch!
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Zahnärztliche Implantologie – DGZI e.V.